Generation Krise

Generation Krise

Magazin 01/23

Generation X, Y, Z. Was uns an anderen Altersgruppen nervt, können die meisten rasch in Worte fassen. Doch könnten wir auch voneinander lernen? Im Gespräch mit Jugendforscherin Beate Großegger.

Wer nach 1995 geboren wurde, gilt als Generation Z. Keine andere Generation ist so digital und hat so einen so hohen Lebensstandard zu verteidigen. Und sie ist die erste Generation seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die in der Kindheit bzw. im Jugendalter eine Dauerkrise erlebt: Corona-Pandemie, Klimakrise, Ukrainekrieg, Rohstoffkrise, Energiekrise, Inflation und Wirtschaftskrise.
Der Krisenmodus hinterlässt Spuren, findet Beate Großegger, Mitbegründerin des Instituts für Jugendkulturforschung und Leiterin der dortigen Forschungsabteilung.

Frau Großegger, inwiefern prägen die aktuellen Krisen die Jugendlichen?

Jugendliche beschäftigt sehr stark die Frage nach persönlichen Zukunftschancen. Sie wachsen in einer Zeit verdichteter Krisenerfahrung auf, in der die Planungsunsicherheit zunimmt. Ich habe unlängst in einem Supermarkt ein Gespräch zwischen zwei Jugendlichen mitbekommen. Die beiden haben Regale geschlichtet und über die aktuelle Teuerung gesprochen.

Die junge Frau hat erzählt, dass sie nicht wisse, ob sie sich die Heizkosten weiterhin leisten könne und dass sie darüber nachdenkt, neben der Lehre einen Nebenjob anzunehmen. Diese Überlegungen sind schon bezeichnend, wie stark die Unsicherheit ist.

Sie haben schon 2014 ein Buch mit dem Titel „Kinder in der Krise“ veröffentlicht. Was hat sich seither verändert?

Mit der Bankenkrise 2008 gab es bereits Stimmen, die davor warnten, dass unser Wirtschaftswachstum endlich sein könnte. Aber die Bankenkrise war noch abstrakt. Das hat sich jetzt deutlich geändert.
Von den aktuellen Krisen sind die Jugendlichen heute persönlich betroffen, die Krisenerfahrung ist für junge Menschen also sehr konkret. Und das hat Einfluss auf ihr Denken, Fühlen und auch auf ihr Handeln.

Wir reden heute von einer fragmentierten Gesellschaft, aber von Generation Z. Gibt es überhaupt die EINE Generation?

Die Jugend ist keine homogene Gruppe, sie formiert sich aufgrund miteinander geteilter Erfahrungen, aber dennoch als Generation. Jugend ist also bunt und widersprüchlich. An jedem sozialen und kulturellen Standort spielt das Leben der Jugendlichen ein wenig anders.

Doch trotz dieser Vielfalt an Lebensentwürfen und Lebensorientierungen gibt es auch Gemeinsamkeiten. Vor allem die prägenden Erfahrungen im Kontext der Klimakrise, der Pandemie, des Ukraine-Kriegs und der aktuellen Teuerungs- und Energiekrise schließen die Jugend heute als eine Krisengeneration zusammen.

Welche Gemeinsamkeiten sind das?

Aufgrund des Dauerkrisenmodus, in dem wir derzeit sind, entwickeln junge Menschen ein extremes Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit – das zeigt sich quer durch die Milieus. Darin unterscheidet sich die heutige Jugend deutlich von der Generation Y, also den Menschen, die zwischen 1981 und 1995 geboren wurden.

Die Generation Y hatte vor allem in bildungsnahen Milieus das Ziel der beruflichen Selbstverwirklichung. In der Generation Z stehen berufliche Selbstverwirklichungsansprüche weniger stark im Vordergrund. Jugendliche, die heute in den Beruf einsteigen, sind deutlich pragmatischer. Sie wünschen sich vor allem einen sicheren Arbeitsplatz. Und sie legen großen Wert auf ein gutes Betriebsklima.

Wenn der Wunsch nach Sicherheit so ausgeprägt ist, warum beklagen Unternehmen oft mangelnde Einsatzbereitschaft bei Jugendlichen?

Wir diskutieren immer darüber, was uns irritiert. Aber die Frage müsste lauten, warum sind Jugendliche so? Das Warum lässt man im öffentlichen Diskurs zu wenig zu. Aber nur wenn ich eine Antwort auf das Warum habe, kann ich eine Strategie entwickeln, wie ich als Mensch, als Unternehmen, mit diesen Bedürfnissen und Wünschen umgehe. Und diese sind im Grunde genommen sehr einfach.

Jugendliche wünschen sich einen guten Arbeitsplatz und gute Chef:innen, die sie wertschätzen. Sie möchten sich in einem Unternehmen wohlfühlen. Wir sehen in unserer Forschung sehr deutlich, dass Jugendliche, die sich wohlfühlen, bereit sind, mehr zu leisten.

Heißt mehr leisten tatsächlich auch mehr arbeiten oder kommt eine Generation Teilzeit auf uns zu?

Wir sehen nicht, dass Jugendliche vermehrt Teilzeit arbeiten. Im Gegenteil. Junge Erwachsene arbeiten im Schnitt 37,5 Stunden pro Woche, einige davon auch deutlich mehr als 40 Stunden. Teilzeitarbeit betrifft vor allem Menschen in Ausbildung.
Auch hier haben viele einen Nebenjob und arbeiten regelmäßig 15 Stunden pro Woche neben der Ausbildung. Allerdings trennen Jugendliche auch klar zwischen Arbeit und Freizeit, die Work-Life-Balance ist ihnen tatsächlich wichtiger als anderen Altersgruppen.

Jugendliche haben heute viel mehr Auswahl an spannenden Berufen. Die beliebtesten sind jedoch seit Jahrzehnten gleich. Ebenso wie die sehr traditionellen Berufswünsche. Woran liegt das?

Das ist eine sehr spannende Frage. Viele Jugendliche erfahren leider durch ihre Eltern nur wenig oder gar keine Unterstützung bei ihrer Berufswahl. Sie wissen gar nicht, welche Möglichkeiten es gibt und kennen viele Berufe nicht.

So entscheiden sie sich für das, was ihre Eltern kennen. Und das sind oft sehr traditionelle Berufe. Wobei das nicht nur Lehrberufe betrifft. Frauen studieren nach wie vor eher geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer, während technische Fächer männlich dominiert sind.

Ist Feminismus damit abgeschrieben?

Jugendlichen geht es heute generell mehr um das eigene Leben als um Systemkritik. Viele junge Frauen bezeichnen sich nicht mehr als feministisch, sondern als emanzipiert. Sie haben keinen Anspruch, das System verändern zu wollen, sie konzentrieren sich auf ihr „eigenes Ding“ und wollen ihr eigenes Leben gut gestalten. Das trifft in gewisser Weise auch auf die Genderdebatte zu. Gender wird heute stark mit Diversität gleichgesetzt.

Das große Thema ist Queerness. Alles soll möglich sein. Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Wer möchte ich sein? Diese Fragen beschäftigen Jugendliche heute viel länger als früher.

Wie divers müssen dann Unternehmen sein, um für Jugendliche attraktiv zu sein?

Diversität am Arbeitsplatz ist sehr spannend und wird oft falsch verstanden. In der Praxis haben wir es oft nicht mit diversen, sondern mit psychologisch homogenen Teams zu tun. Wenn Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft und Sexualität, aber mit dem gleichen Bildungsniveau, Lebensstil und den gleichen Werten zusammenarbeiten, dann ist das aus meiner Sicht als Sozialwissenschafterin nicht divers.

Wie sollten echte diverse Team zusammengesetzt sein?

Es geht um den Mix von jung bis alt, um unterschiedliche lebensweltliche Erfahrungen und unterschiedliche kulturelle Milieus. Nur dann ist das Ganze mehr als die Summe der Einzelteile und es entstehen neue Spielräume für Kreativität und Innovation. Diversität könnte also eine Chance sein. Was könnten die Generationen voneinander lernen?
Könnten ist ein sehr treffender Begriff. Wir wissen, dass jüngere wie auch ältere Generationen nicht wahnsinnig begeistert sind, miteinander zu arbeiten. Vielleicht sollten wir eher fragen, was die Jungen besonders gut können.

Und was können sie besonders gut?

Sie sind mit digitalen Medien aufgewachsen und wenden diese sehr selbstverständlich an, das geschieht beiläufig. Und Jugendliche sind natürlich auch immer dann ein großes Thema, wenn ein Unternehmen eine junge Zielgruppe ansprechen möchte.
Jugendliche können mit ihren Alterskolleg:innen ganz anders kommunizieren, ohne peinlich oder oberlehrerhaft zu wirken. Hier können Unternehmen ganz klar profitieren.

Und umgekehrt – was können Ältere besser?

Ältere haben ein besseres Zeit- und Projektmanagement und eine größere Lebenserfahrung. Sie sind auch krisenerfahrener. Das ist etwas, was Jugendlichen fehlt.

Klingt wie eine perfekte Mischung. Was braucht es, damit wir die Chancen erkennen?

Mehr Bereitschaft, voneinander zu lernen und mehr Kommunikation. Man muss miteinander ins Gespräch kommen. Das wäre ein guter Anfang.

Beate Großegger

Beate Großegger ist wissenschaftliche Leiterin und stellvertretende Vorsitzende des Instituts für Jugendforschung in Wien, Expertin für Jugend und Generationen sowie Universitätslektorin.

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