Digitalisierung war gestern – heute gelten KI Assistenten als der Hebel, wenn es um Effizienzsteigerung, neue Arbeitswelten und neue Businessmodelle geht.
Best Practice | Schöne neue Welt oder alter Wein in neuen Schläuchen?
Best Practice | Schöne neue Welt oder alter Wein in neuen Schläuchen?
Magazin 02/23
KI wird die Welt verändern. Doch halt: In vielen Bereichen ist sie schon längst im Einsatz.
Die Einführung von ChatGPT durch OpenAI hat vielen Menschen die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz plakativ vor Augen geführt. Dass ein System selbstständig Informationen suchen und eigenständig zu Texten und Bildern verarbeiten kann, wird als Meilenstein gefeiert. Seither haben IT Giganten wie Apple, Google, Microsoft oder IBM weitere sogenannte Large Language Models, kurz LLM, vorgestellt oder in ihren Systemen implementiert. Das Neue liegt in der Sprach- und Bildintelligenz, denn selbstständig lernende Maschinen sind in vielen Bereichen kein Neuland, auch in der Druck- und Medienbranche nicht. Schon vor zwei Jahren launchten die ersten Hersteller Systeme, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz oder artificial intelligence arbeiten und „dazulernen“. Darüber hinaus haben österreichische Start-ups Lösungen entwickelt, die für Druckereien und Medienbetriebe hilfreich sind. „KI ist schon jetzt Alltag in vielen Betrieben. Die Druck- und Medienbranche war eine der ersten Branchen, die sich durch die Digitalisierung verändert hat. Und sie gehört auch beim Einsatz von KI zu den Vorreitern“, sagt Peter Sodoma, Geschäftsführer des Verband Druck Medien.
Smarte Bildbearbeitung mit KI
Fujifilm machte 2021 mit der Revoria PC1120 auf sich aufmerksam, die erstmals über eine KI Bildverbesserungstechnologie verfügt. Das System passt beim Drucken von Bildern automatisch Farbtöne und Belichtung an und reduziert so den Bedarf von manuellen Retuschen und Bildbearbeitung in der Druckvorstufe deutlich. Selbst Bilder, die zu dunkel, zu hell oder zu unscharf sind, können mittels KI korrigiert und verbessert werden. Auch die Multifunktionsdrucker von Kyocera arbeiten mit KI. „Super Resolution“ konvertiert Bilder und Logos mit geringer Auflösung in Druckqualität. Möglich ist das, weil das System Bilder mit Informationen aus dem Internet abgleicht und fehlende Bildinformationen automatisch ergänzt.
„Hinsichtlich Personalmangels, steigenden Wettbewerbs und Lohnkosten gewinnt die Automatisierung von Piece-Picking-Prozessen enorm an Bedeutung. Studien zeigen, dass dieser Markt ein durchschnittliches, jährliches Wachstum von über 58 Prozent zwischen 2021 und 2027 erfahren wird.“
– Michael Kaspar, Head of Vertical Sales, Siemens Österreich
Automatisierter Workflow bei Rechnungen
Sowohl Konica Minolta als auch Canon arbeiten seit vielen Jahren daran, Büros und Abläufe wie Rechnungslegung, Lieferscheine, Verträge und andere organisatorische Aufgaben zu digitalisieren. Mit dem Einsatz von „smarten“ KI Systemen geht dies noch einfacher. Canon bietet schon seit mehreren Jahren KI Lösungen für seine Scanner und Multifunktionsdrucker an. „Smart Capture“ und „BluDelta“ können eingescannte, halbstrukturierte Dokumente klassifizieren und Daten daraus extrahieren. So können Rechnungsläufe oder Bestellungen schneller abgewickelt werden. „BluDelta“, das eine Erweiterung für die Dokumenten Management Software (DMS) ist, kann darüber hinaus in Systeme der Kund:innen integriert werden. Bei Konica Minolta enthält das Enterprise Content Management System, kurz ECM, KI für die Verarbeitung und die Organisation von Bildern, PDF und Textdokumenten.
„Es geht nicht um ein ‚Freisetzen‘ von Mitarbeitenden, sondern stets um ein ‚Rücken freihalten‘. Mit unseren Lösungen helfen wir ihnen, mehr Zeit für die wesentlichen Aufgaben zu gewinnen, indem wir ihnen wiederkehrende, monotone Tätigkeiten abnehmen.“
– Martin Brüggemann, Business Solution Consultant, Canon
Auch das Tiroler Start-up DeepOpinion hat sich mit Arbeitsabläufen in Unternehmen auseinandergesetzt und entwickelt seit 2019 eine Automatisierungsplattform, die routinemäßige Arbeitsschritte mithilfe von Sprachmodellen und KI automatisieren soll. Überquellende Postfächer sollen damit ebenso der Vergangenheit angehören, wie fehlgeleitete Mails oder lange Bearbeitungszeiten bei Rechnungsläufen.
2022 konnte DeepOpinion zwei Millionen Euro von Investor:innen generieren, um ihr Start-up weiterzuentwickeln. Denn DeepOpinion soll an bereits bestehende Programme wie SAP, Salesforce, Twilio, Microsoft oder Zendesk andocken und diese ergänzen.
Intelligente Maschinensteuerung
„KI verändert die Art und Weise, wie Menschen in verschiedenen Branchen arbeiten. Und die Druckindustrie ist da keine Ausnahme. Fujifilm gehört wieder zu den Pionieren, wenn wir das Potenzial von KI erforschen, um die Drucktechnologie auf die nächste Stufe zu heben.“
– Mark Lawn, Head of Print on Demand Solutions, Fujifilm
Seit drei Jahren ist bei Heidelberg die Performance Advisor Technology (PAT) im Einsatz, die Bogenoffsetmaschinen im Betrieb überwachen, Abweichungen erkennen und Verbesserungen für Prozesse vorschlagen kann. Durch die Rückmeldungen an das System lernt der Algorithmus und optimiert seine Verbesserungsvorschläge analog zum Bedarf. Außerdem setzt Heidelberg auch bei allen Druckmaschinen der neuen Speedmaster-Generation bei fünf eingebetteten Funktionen auf KI, um Druckprozesse kontinuierlich effizienter zu machen sowie die Makulatur und Rüstzeiten deutlich zu reduzieren. Laut Heidelberg wurden z. B. im Rahmen von Preset 2.0 über 600.000 Druckaufträge mittels eines Algorithmus analysiert und die Luftkennlinien und Geschwindigkeitskompensation optimiert.
Konica Minolta nutzt für die Vorhersage technischer Probleme und die vorausschauende Wartung von Drucksystemen KI in einer „CSRA“ genannten Technologie. Diese informiert den Support frühzeitig über routinemäßige Wartungsarbeiten oder andere notwendige Eingriffe an den Kund:innensystemen. Darüber hinaus bietet das AccurioPro Dashboard eine Echtzeit-Analyse von Drucksystemen. So bietet das Dashboard Benutzer:innen unter anderem eine Übersicht, mit welcher Auslastung die Maschinen betrieben werden. Konica Minolta arbeitet derzeit an einer KI gesteuerten Erweiterung, mit Hilfe derer freie Produktionsfenster und Qualitätsschwankungen in der Produktion automatisiert identifiziert werden.
„Wir verbessern unter anderem die Mensch-Maschine-Schnittstellen, in dem wir gerade bei Servicethemen das Wissen für unsere Kund:innen leichter zugänglich machen und so die Produktivität weiter steigern können.“
– Jürgen Grimm, Leiter Prinect Software, HEIDELBERG
Effiziente Logistik
Siemens forscht und arbeitet schon seit Jahrzehnten an intelligenten Lösungen. Mit dem Simatic Robot Pick AI hat das Unternehmen im Frühling 2023 eine 3D-Bildverarbeitungssoftware für Roboter-Lösungen in der Logistik vorgestellt. Diese ermöglicht Robotern in der Lagerkommissionierung das Erkennen und Greifen beliebiger Artikel, unabhängig von deren Form oder Größe. KI gesteuerte Roboter können so laut Siemens die Effizienz in Lagern steigern, bei einer Fehlerquote von unter zwei Prozent.
Risiko Lieferketten?
Das Wiener Start-up Prewave konzentriert sich auf die Bestimmung von Risiken in den Lieferketten. Mit Hilfe einer globalen Matrix kann die gesamte Lieferkette eines Unternehmens evaluiert werden und aktuelle Risken, wie Lieferengpässe, Konflikte, aber auch Faktoren wie Kinderarbeit, Umweltsünden oder Diskriminierung identifiziert werden. Den Praxistest hat Prewave auf jeden Fall schon bestanden. So erkannte die KI gesteuerte Software bereits Anfang 2020 mögliche Lieferschwierigkeiten in China.
„Automatisierung schafft Raum für Innovation und kreative Arbeit, ermöglicht eine Fokussierung auf die wertbringenden Aufgaben und spart Kosten ein.“
– Stefan Engl, CEO und Co-Founder DeepOpinion, The Intelligent Automation Platform
Grenzenlos?
Derzeit sind KI Systemen noch Grenzen gesetzt. Das liegt einerseits daran, dass vor allem Large Language Models riesige Rechenleistungen erfordern und entsprechend Energie benötigen. Andererseits schaffen es auch die besten Algorithmen noch nicht, Hände richtig wiederzugeben. Die größte Baustelle aber ist, dass KI Systeme auf Antworten programmiert sind. Sollten sie diese nicht selbst finden, so „erfinden“ sie diese. Zudem gilt auch bei KI: Was nicht vorhanden, nicht auffindbar oder schlicht nicht im Internet nicht „groß“ genug ist, das findet die KI auch nicht.
Der Selbstversuch für diesen Artikel bestätigte diese These: Auf der Suche nach österreichischen KI Start-ups fand ChatGPT kein einziges, das tatsächlich in Österreich gegründet oder beheimatet ist. Auch die KI Lösungen von Fujifilm bis Heidelberg waren dem Programm unbekannt.
Aber: Die Programme lernen dazu. Jeden Tag.
„Schon heute profitieren Betriebe durch den Einsatz von KI-basierten Lösungen. Parallel erlebt Gedrucktes eine Renaissance. Print ist durch den erhöhten Aufwand und die Pflicht zur Nennung eines Urhebers meist vertrauenswürdiger und damit wertiger.“
– Thorsten Kinnen, Business Development Manager Professional Printing, Konica Minolta Business Solutions Deutschland GmbH
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